Bei der Frage nach der Besetzung der Rolle des Scrum Masters stoßen sehr schnell gegensätzliche Ansichten bei Kunden und Beratern aufeinander. Der Kunde wünscht sich meist eine interne Lösung, vielfach den bisherigen Teamleiter. Kann so eine Konstellation aber überhaupt funktionieren? Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus einem konkreten Coaching-Projekt ist die Antwort darauf ein klares „Ja, aber …“.
Bei Kunden, die sich ganz frisch mit dem Thema Agilität auseinandersetzen und für Ihre ersten Schritte gerne Scrum einsetzen wollen, stellt sich sehr schnell die Frage, wer die Rolle des Scrum Masters übernehmen soll. Die häufige Antwort des Kunden ist dann: „Das macht natürlich der Teamleiter!“.
Hier stoßen dann ganz schnell zwei gegensätzliche Meinungen aufeinander. Einerseits die des Kunden, der im Teamleiter so etwas wie den natürlichen Anwärter auf die Rolle des Scrum Masters sieht. Schließlich kennt der Teamleiter das Team in- und auswendig, weiß genau, was das Team leisten kann und auf wen es ein besonderes Augenmerk zu richten gilt. Andererseits die Meinung des Beraters, der genau darin die Gefahr sieht. Wie soll der Teamleiter für das Team als Unterstützer und Schiedsrichter ohne disziplinarische Gewalt agieren, wenn er bisher und womöglich auch zukünftig dessen Vorgesetzter gewesen ist? Die Antworten hierauf sind eigentlich ganz einfach:
Berater: „Das geht nicht. Als Vorgesetzter kann er nicht die Rolle des Scrum Masters einnehmen. Damit wird der gesamte Prozess gefährdet.“
Kunde: „Das ist so ein fähiger Mitarbeiter. Der schafft das schon.“
Manchmal kann man den Kunden davon überzeugen, eine andere Lösung zu wählen. Der Berater hätte am liebsten ja sowieso einen erfahrenen Scrum Master von außen geholt. In vielen Fällen setzt sich aber die Meinung des Kunden durch und der Teamleiter wird zum Scrum Master ernannt. Genau diese Konstellation hat sich in einem meiner letzten Coaching-Projekte ergeben. Gecoacht wurden drei Scrum Teams mit jeweils einem eigenen Scrum Master. Bei zwei der Teams wurden die jeweiligen Teamleiter zum Scrum Master gemacht. Das dritte Team wurde komplett neu zusammengestellt und erhielt einen Scrum Master, der bisher noch nicht als Teamleiter gearbeitet hat. Keiner der drei hat vorher als Scrum Master oder in einem Scrum Team gearbeitet.
Alle drei Scrum Master wurden in der Anfangsphase geschult und durch intensives Coaching in ihren ersten Wochen begleitet. Recht schnell hat sich herausgestellt, dass die Rollenkombination Teamleiter / Scrum Master zu einigen Konflikten führt. Für die Teams war es ungewohnt und teilweise auch recht schwierig, im Scrum Master nicht mehr den Teamleiter zu sehen, dem man Rechenschaft schuldig ist. Auch die Scrum Master kostete es einige Überwindung, dem Team seinen Entscheidungsspielraum zu belassen und nicht steuernd einzugreifen. Was war letzlich das Ergebnis?
Zunächst der positive Teil: bei zwei von drei Teams hat die Konstellation mit dem Scrum Master gut gepasst. Der Kollege, der bisher nicht als Teamleiter gearbeitet hat, hat sich sehr schnell in seine Rolle eingelebt und diese auch gut vertreten. Sein Team hatte die geringsten Probleme, den Scrum Master als solchen zu verstehen und wahr zu nehmen. Ähnliches gilt für einen der beiden Teamleiter, die nun (zusätzlich) als Scrum Master für ihre Teams tätig waren. Er war sehr schnell dazu in der Lage, seine beiden Rollen voneinander zu trennen. Sein Team hat ein wenig Anlaufzeit gebraucht, ihn vollständig als Scrum Master zu sehen und zu verstehen. Danach hat das aber sehr gut klappt.
Bleibt noch der zweite Teamleiter und sein Team. Hier gab es leider von Beginn an Probleme. Nicht alle davon waren der Konstellation geschuldet. Allerdings ist es dem zweiten Teamleiter nur selten gelungen, seine beiden Rollen klar voneinander zu trennen. Entsprechend wurde er im Team auch eher als Teamleiter, denn als Scrum Master verstanden.
Was ist jetzt das Fazit aus dieser Erfahrung? Das dritte Team entspricht dem klassischen Vorschlag eines Berater. Der Scrum Master kommt von außen und hat in der Linienorganisation keine Verbindung zum Team (wenn er nicht ein Externer ist). Fehlende Erfahrung kann durch intensives Coaching ausgeglichen werden.
Die Bewertung der Teamleiter als Scrum Master ist hingegen nicht ganz so eindeutig, wie es uns die Literatur glauben macht. Auch diese Konstellation kann funktionieren. Es hängt aber sehr stark von der Person des Teamleiters und seinem bisherigen Führungsstil ab, ob es Erfolg versprechend ist. Ein sehr gefestigter Teamleiter, der seinem Team auch bisher schon viel Freiheiten und Entscheidungsspielräume gelassen hat, könnte sich auch zu einem guten Scrum Master entwickeln. Allerdings ist das Risiko eines Fehlschlags hier sehr hoch. Es kommt nicht nur auf ihn selbst, sondern auch auf sein Team und seine eigenen Vorgesetzten an, ob er sich auch als Scrum Master etablieren kann. Um das Risiko zu reduzieren, kann aber durchaus überlegt werden, den Teamleiter eines anderen Teams zum Scrum Master zu machen.